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Rummelplatzgerechtigkeit am Arbeitsplatz

und die Überlegung, sich selbst oder anderen das Leben zu nehmen

Als hochsensible Person (HSP: highly sensitive Person) kommt man schnell in Situationen, in denen der Begriff "Lebensmüde" stark an Bedeutung gewinnt. Vor allem dann, wenn man übermäßig von Rummelplatzgerechtigkeit umgeben ist – und das als Einziger erkennt. Oder – der Einzige ist, der sich dagegen auflehnt, während alle anderen derartige Situationen stillschweigend ertragen.

 

"Man" ist Patrick, 33 Jahre jung. Ich habe Patrick in der MHH Hannover im Jahr 2020 kennengelernt. Ihm wurde eine Spender-Leber transplantiert – mir eine Niere. Recherchen zu einem neuen Abenteuer der Blackfin Boys führten mich nach Straßburg, wo Patrick jetzt lebt. Wir hatten uns Anfang Juni im PISCINE DU WACKEN getroffen und ein paar Stunden gelabert. 

 

Patrick ist hochgradig hochsensibel, das ist ihm auch klar. Er erlebt alles um sich herum extrem, intensiv und verfügt über feinste Antennen, die sämtliche Schwingungen seiner Mitmenschen wahrnehmen. Lügt eine Person, erkennt Patrick das sofort. Überhaupt ist sein Gegenüber, in welcher Situation auch immer, stets ein offenes Buch. Ein Buch, dass er oft gar nicht lesen will, sagte er mir leise, so ganz beiläufig.

 

Patrick hat auch ein überdurchschnittlich starkes Verhältnis zu Gerechtigkeit. Diese Eigenschaft ist unter HSPs weit verbreitet. Unerträglich sei das Gefühl, wenn er nichts gegen Ungerechtigkeit unternehmen könne. Als wir zufällig auf das Thema Rauchen zu sprechen kamen, erzählte mir Patrick eine Geschichte. Eine wahre Geschichte, die ich jetzt aus seiner Perspektive schreibe. So, wie Patrick eben "labert" ☺︎ :

 

 

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Da arbeite ich in einer Behörde (Anm.: Braunschweig) in einer Gruppe mit insgesamt vier Leuten in einer Abteilung. Drei davon Raucher, die jede Stunde eine Raucherpause machen. Die Behörde erlaubt, dass diese Pausen während der Arbeitszeit gemacht werden dürfen. Ich als Nichtraucher muss in dieser Zeit, wenn meine Kollegen draußen im Raucherbereich eine durchziehen, meiner Arbeit nachgehen. Ich könnte ebenfalls nach draußen gehen, für ein paar Minuten frische Luft schnappen oder einfach nur kurz den Kopf frei bekommen. Doof nur, dass ich, weil ich ja nicht rauche, ausstempeln muss.

 

Und jetzt kommt der Hammer, T. (Anm.: T., bzw T-Punkt ist mein Spitzname) , pass auf – da gehen die zu Dritt rauchen und schmeißen mir im Vorbeigehen eine Akte auf meinen Tisch mit der Anweisung, diese in ihrer wohlverdienten Raucherpause zu bearbeiten und zum Abschluss zu bringen. Alter, ich sach dir, als Sportschütze hatte ich da so meine Gedanken. Es ist eine Mischung aus Lebensmüdigkeit und Rachsucht. Dann wundert sich die obere Etage – wieso hat der sich am Arbeitsplatz erschossen? Wieso ist der aus dem Fenster gesprungen? Aber weißt du was? Die wollen es eigentlich gar nicht wissen. 

 

Na ja, zurück zu den Rauchpausen. Jede Stunde, gehen die rauchen. Mindestlänge: 8 Minuten. Maximale länge, die ich gemessen habe: 24 Minuten! Überwiegend sind es aber 15 bis 20 Minuten. Die arbeiten Vollzeit, ich Teilzeit – also vier Stunden. Lass uns weiter rechnen.

 

Ich arbeite von meinen 4 Stunden Arbeitszeit insgesamt 3 Stunden und 50 Minuten.

Die arbeiten von ihren 8 Stunden vielleicht 6 Stunden – eher weniger – an manchen Tagen noch weniger.

 

Und dann wundert sich die Behördenleitung, wieso sich Quiet Quitting breit macht?! Ist das ein Wunder bei dieser Rummelplatzgerechtigkeit? Ich glaube nicht! Vielleicht sollte ich Raucher werden, um die gleichen Rechte zu bekommen. 

 

Dann diese Sache mit dem Beantragen von Urlauben. Mir hat man gesagt, wenn ich einen Urlaub beantrage, muss das mit allen Gruppenmitgliedern besprochen werden. Es geht nicht, dass einer einfach eine Flugreise bucht und darauf pocht, in diesem Zeitraum auch Urlaub zu bekommen. Klar, das ist doch logisch – und es ist fair.

 

Drei Tage später erfahre ich durch Zufall, dass die Gruppenleitung kurzfristig Urlaub genommen hatte. Ich war leicht verwirrt, sollte das nicht mit allen besprochen werden? Nach Rücksprache erhielt ich die entsprechende Antwort: "Die Reise war sooo günstig, die musste ich sofort buchen."

 

Diese und ähnliche Situationen treten regelmäßig auf – in allen möglichen Variationen. Wer hält das aus? Wer will das aushalten? Muss ich das aushalten? Das ist dann der Punkt, dieser eine Moment der absoluten Verzweiflung, an dem Lebensmüdigkeit aufkommt. Aber warum sollte ich der sein, der abtritt? Da sind wir wieder bei der Mischung von Rachsucht, Lebenslust und Überlebenswille. 

 

Heute (Anm.: 25.06.2023) sitze ich hier mit dir und esse Pommes mit Majo und trinke eine kalte Cola aus der Dose. Am Mittwoch fliege ich für ein halbes Jahr nach Argentinien. Keine Probleme, kein Ärger, keine Sorgen. Weißt du, T. – es gibt da zwei Sätze, die habe ich während meiner Schulzeit auswendig gelernt.

 

"Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht."

 

Das ist der Drang zum reinen Selbsterhalt, mein Lieber.

 

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Patrick hat kein gutes Verhältnis zu seinem Körper und hasst es, fotografiert zu werden. Trotzdem konnte ich ihn überreden, ein Foto von ganz Weit weg zu schießen – und ein zweites unter Wasser. Außerdem bestand er darauf, auch ein Foto von mir machen zu dürfen. Hier sind sie nun:

 

Fotos auf Kodak Portra 160, Lab: Silbersalz35

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Weiterführende, externe Links:

People Pleasing: Wenn man es allen recht machen will. Artikel von Frau Dr. Bossmann in "Psychologie heute".

Kommentare: 1
  • #1

    Auch ein Patrick (Donnerstag, 01 Februar 2024 09:13)

    Ich kann den Patrick gut verstehen und seine Erlebnisse nachempfinden. Bei mir ist das so: Einige meiner Kollegen sagten zu mir, dass ich auch Arsch sein muss, sonst würde mich keiner ernst nehmen. Ich will aber nicht "Arsch sein", sondern freundlich und hilfsbereit, so wie ich bin. Außerdem will ich nicht mit Ärschen zusammenarbeiten. Heute habe ich einen anderen Job, und siehe da, tatsächlich habe ich da ebenfalls nette und hilfsbereite Kollegen gefunden. Viele fühlen sich anscheinend in ihrem Job gefangen und sind zu feige (oder haben keine Lust) einen anderen Arbeitsplatz zu suchen. Traut euch!

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